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„Unsichtbare Stadt“
„Unsichtbare Stadt“, © Arno Gisinger
„Unsichtbare Stadt“
„Unsichtbare Stadt“, © Arno Gisinger

Unsichtbares Dornbirn

Unsichtbares Dornbirn

Das Projekt „Unsichtbare Stadt“ möchte im Wahrnehmungsfeld zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Bewusstem und Unbewusstem das Aufmerksamkeitsfenster jeder Stadtbenutzerin und jedes Stadtbenutzers bewegen.

Erkundungen und Betrachtungen im Trialog

Das Unsichtbare ist eine Provokation des aufgeklärten und modernen Geistes. Etwas ist da und doch nicht da. Es hat Potential, zeigt manchmal Wirkung, aber entzieht sich dem Überblick. Städte sind ganz ausgezeichnete Beispiele für die Ansammlung von Unsichtbarem. Ihre Komplexität und Dichte erzwingen gleichsam von ihren Benutzern eine selektive Wahrnehmung. Um sich zurecht zu finden, wird ausgewählt, ausgeblendet, auch verdrängt und damit unsichtbar gemacht.

Dieses Phänomens nimmt sich ein Projekt des Stadtarchivs Dornbirn an. Der Fotokünstler Arno Gisinger, der Architekturkritiker Robert Fabach und der Historiker Werner Matt stellen ihre Sichtweisen und Deutungsmuster an Gebäuden aus Dornbirn vor. Für ein Buchprojekt wurden an vierzehn Bauwerken aus Dornbirn unsichtbare Schichten und Verknüpfungen freigelegt, die mal ergänzend, mal im Gegenentwurf eine Stadt für sich bilden. Acht Beispiele davon werden in dieser Ausstellung gezeigt, die gemeinsam mit dem Vorarlberger Architektur Institut realisiert wurde.

Die Erzählungen in den Texten sorgen gleichsam für Bewegung, umkreisen die  Fotografien oder gehen auf eine komplementäre Distanz. Wahrnehmungsroutinen werden verlassen und damit das Bild von Quartier und Stadt verfeinert. Hier wird ein Spielraum eröffnet, in dem einige wenige Bilder und knappe Texte zeigen, was entdeckt werden kann. Wohlbewusst der Grenzen der eigenen Wahrnehmung sind die gewählten Bauten exemplarisch und die Ausführungen dazu vielmehr eine Aufforderung für weitere Erkundungen, in den Archiven und in der Realität.

Es ist ein zeitloses Bedürfnis des Menschen, sich in seiner Umwelt wieder zu finden, ihr Identität zu geben. Die Schaffung solcher räumlicher Identitäten ist eine zivilisatorische Leistung und Voraussetzung für die Vielfalt und den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Das vorliegende Projekt fordert auf, sich Stadt als sozialen und kulturellen Raum anzueignen und sich damit neu zu verorten. 

Die Ausstellung „Unsichtbare Stadt“ war zwischen 26. März und 16. Mai 2010 im vai Dornbirn zu sehen sein. Das gleichnamige Buch wurde von Silvia Wasner gestaltet und erschien zur Ausstellung. Das Buch ist nach wie vor im Handel erhältlich. 

Wir stellen hier vier Beispiele vor, die durch das Projekt „Unsichtbare Stadt“ wieder ein Gesicht und eine Identität erhalten sollen:

  • Das erste Vorarlberger Hochhaus (Marktstraße 8)

    Das siebenstöckige Gebäude mitten im Zentrum von Dornbirn fällt heutzutage niemandem mehr sonderlich auf. Das war in den 50er Jahren noch ganz anders, als auf dem wertvollsten Baugrund des ganzen Stadtgebietes das erste Hochhaus Vorarlbergs entstehen sollte. In der Presse wurde an die Vernunft der Dornbirner appelliert, die Dornbirner, „in ihren Gärten an Raum und Weite gewöhnt“, werden sich an den „Dornbirner Wolkenkratzer“ gewöhnen müssen. Das Gebäude wurde also errichtet. Neben Geschäften im Erdgeschoß und Büroräumlichkeiten im ersten Stockwerk standen in fünf weiteren Stockwerken zehn Dreizimmerwohnungen und fünf Vierzimmerwohnungen zur Verfügung. Die Wohnungen wurden durchwegs von bekannten Bürgern, allen voran der damalige Bürgermeister, Dr. Günther Moosbrugger, erworben. Nur mit der obersten Wohnung hatte man Schwierigkeiten. Sie war einfach nicht zu verkaufen, weil sie zu hoch lag und man an er Dichtheit eines Flachdachs zweifelte. Um dafür doch noch einen Käufer zu finden und um etwaigen Gerüchten vorzubeugen, wurde von Seiten der Stadt Dornbirn ein zinsloser Kredit gewährt.

    Hochhaus
    Hochhaus, © AltNeuland
  • Haus Kalb (Schillerstraße 22)

    Die romantische kleine Villa in der Schillerstraße mit Veranda und Türmchen schaut von außen schon so geheimnisvoll aus, dass darin viele Geschichten verborgen sein könnten. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man das Glück hat einen Blick in die wunderbaren Räume werfen zu können. Hier werden die Erinnerungen an einen Dornbirner Künstler aufbewahrt, dessen Bedeutung erst spät erkannt wurde. Edmund Kalb wurde 1900 als Sohn eines Dekorationsmalers in Dornbirn geboren. Er interessierte sich früh für Malerei, besuchte die Kunstakademie München, unternahm mehrere Studienreisen und lebte schließlich ein zurückgezogenes Leben in Dornbirn. Hier kam Kalb immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit, was zu Verhaftungen und Gefängnisaufenthalten führte. Er isolierte sich zunehmend von der Gesellschaft und führte ein Außenseiterleben. In diesen Jahren schuf er eine beeindruckende Serie von über 600 Selbstporträts, die mathematische Denkmodelle ebenso wie die Beschäftigung mit kosmischen Ordnungen und esoterischen Ideen der Jahre zwischen den Weltkriegen beinhalten. Edmund Kalb starb 1952 in Dornbirn. Große Teile seines schriftlichen und bildnerischen Werkes gingen verloren. Ein Teil des Nachlasses wird aber in der Villa von Georg Kalb in fast musealer Form aufbewahrt.

    Haus Kalb
    Haus Kalb, © Stadtarchiv Dornbirn
  • Haus Turteltaub (Lustenauererstraße 3a)

    Das unscheinbare Haus an der Lustenauerstraße, schräg gegenüber vom Dornbirner Krankenhaus, beherbergt heute die Dornbirner Geschäftstelle der Caritas Vorarlberg. Dass sich in diesem Haus aber auch eine ganz andere, weniger menschenfreundliche Geschichte manifestierte, wissen nur wenige. Hier wohnte nämlich von 1932 bis 1939 die Familie Turteltaub. Edmund Turteltaub hatte sich mit seiner Familie hier eingemietet und auch sein Geschäft, eine Zweigniederlassung des "Warenkredithauses Fortuna", eingerichtet. Im März 1938 änderten sich für die Familie Turteltaub, wie für alle Juden in Österreich, schlagartig die Lebensumstände. Die Turteltaubs wurden gleich nach dem „Anschluss“ Zielscheibe für nationalsozialistische Schlägertrupps, die rund um das Haus randalierten. Der Sohn der Vermieterin, Bruno Walter, erinnerte sich, dass schon am 11. März 1938 Hatler Nazis vor das Haus zogen und "Henkt die Schwarzen, henkt die Juden" riefen. Am 7. März 1939 musste die ganze Familie nach Wien übersiedeln und versuchte über Italien zu entkommen. Doch nach mehreren Lageraufenthalten in Italien wurde die Familie Turteltaub 1944 nach Auschwitz verschleppt. Nach der Ankunft wurden die beiden Kinder Hans und Walter Turteltaub, 13 und 9 Jahre alt, in der Gaskammer ermordet. Auch Edmund und Gertrude Turteltaub erlebten die Befreiung des KZ Auschwitz nicht mehr.

    Haus Turteltaub
    Haus Turteltaub, © AltNeuland
  • Das ehemalige Einrichtungshaus Zünd (Marktstraße 45)

    Während des Baubooms der 60er Jahre entstanden in der Stadt nur wenige markante Gebäude, die für sich den Anspruch moderner Architektur reklamieren konnten. Das 1968 erbaute Wohn- und Geschäftshaus Zünd, Marktstraße 45, ist eines davon. Die Qualität des Hauses wird durch die heutige Nutzung als Kunstgalerie eindrucksvoll unterstrichen. Der Bauherr Christoph Zünd erinnert sich an die Beweggründe, mit Ernst Hiesmayr einen sehr prominenten Architekten zu engagieren: „Wir führten damals ein Einrichtungshaus mit Wohntextilien und hatten deshalb geschäftlichen Kontakt zu allen Architekten. Wen also nehmen? Prof. Hiesmayer unterrichtete in Wien, galt deshalb nicht als lokaler Architekt. Die Umsetzung war allerdings sehr schwierig, es gab heftigen Widerstand gegen dieses Projekt, der zuständige Stadtbaumeister hat sogar Luftsprünge vollführt.“

    Haus Zünd
    Haus Zünd, © Stadtarchiv Dornbirn
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